Nachtragshaushalt 2021

Protokoll

Felix Banaszak (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):

Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Ja, das ist meine erste Rede hier im Deutschen Bundestag. Der Tagesordnungspunkt klingt ja recht technisch, aber im Kern geht es heute um die Entscheidung, ob wir die Chance ergreifen wollen auf eine bessere Zukunft für uns und für die, die nach uns kommen. Deswegen habe ich mir im Vorhinein die Frage gestellt: Wie will ich, wie wollen wir eigentlich in fünf, in zehn, in zwanzig Jahren auf diese Entscheidung zurückblicken?

Zu Beginn vielleicht ein paar Zahlen: 350 Milliarden Euro – das ist der Betrag, den das Institut der deutschen Wirtschaft in Köln jetzt Anfang der Woche an Wertschöpfungsausfall für die deutsche Wirtschaft wegen der Pandemie beziffert hat. Ohne Pandemie hätten wir allein 60 Milliarden Euro mehr Investitionen in den Unternehmen gehabt. 7 Prozent Produktionslücke Ende 2021 allein in der Industrie! Das Bruttoinlandsprodukt ist noch immer nicht auf Vorkrisenniveau.

Ich will das mal plastisch machen: In einer solchen Krise kommt es zu Umsatzeinbrüchen bei den Unternehmen. In der Folge müssen diese Unternehmen eben ihre Eigenkapitalreserven angreifen oder neue Kredite aufnehmen. Das senkt ihre Investitionsfähigkeit. Damit sinken die realen Investitionen und damit auch die Chancen, sich für die Zukunft aufzustellen, neue Stellen zu schaffen und vieles mehr.

Ich habe Ihnen aufmerksam zugehört, Herr Middelberg, und ich habe auch gelesen, was Sie in Ihrem Entschließungsantrag geschrieben haben. Sie sagen im Kern, dieser Nachtragshaushalt habe nichts mit dieser Pandemie zu tun. Ich empfehle Ihnen: Sprechen Sie mal mit einem Unternehmen in Ihrem Wahlkreis oder irgendwo anders in diesem Land; vielleicht sehen Sie das dann ein bisschen anders.

(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN, bei der SPD und der FDP)

Meine Damen und Herren, wir haben im Kern zwei Möglichkeiten, mit dieser Situation umzugehen. Wir können – und so verstehe ich Sie – die Augen vor diesen Realitäten verschließen, uns an dem Dogma festhalten, dass Schulden immer böse und immer schlecht sind, und dann hoffen, dass die wirtschaftliche Erholung einfach so passiert. Füße hochlegen und abwarten – kann man so machen, klug ist das aus meiner Sicht nicht.

(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der SPD sowie bei Abgeordneten der FDP)

Die Alternative, liebe Kolleginnen und Kollegen, dazu ist – und das ist das, wofür wir uns als Koalition entschieden haben –: Wir beschließen mit diesem Nachtragshaushalt, mit diesen 60 Milliarden Euro für den Klima- und Transformationsfonds, ein echtes Pandemiebewältigungspaket. Wir boostern die Wirtschaft gegen die Langzeitfolgen dieser Pandemie! Und das, meine Damen und Herren, ist gleich doppelt klug:

(Zurufe von der CDU/CSU)

Denn auf der einen Seite lindern wir die konkreten, akuten Krisenauswirkungen auf die Wirtschaft, und auf der anderen Seite sorgen wir dafür, dass wir unsere Industrienation Richtung Klimaneutralität entwickeln und mit Investitionen nachhaltig aufstellen.

(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der SPD und der FDP)

Das ist auch das, was der überwiegende Teil der Ökonominnen und Ökonomen in diesem Land uns empfiehlt, nämlich uns nicht aus der Krise herauszusparen, sondern zu investieren, und zwar zielgerichtet. Und das ist auch das, was die Ökonominnen und Ökonomen – es ist angesprochen worden – in der öffentlichen Anhörung des Haushaltsausschusses dargestellt haben. Ich frage mich: Waren Sie da anwesend?

(Zuruf des Abg. Dr. Michael Espendiller [AfD])

Haben Sie das wenigstens zur Kenntnis genommen?

Weil das Argument kam, man könne doch nicht im Haushalt 2021 Dinge für die Zukunft festlegen: Ja wann bitte sollen denn die Investitionen nachgeholt werden, die 2021 pandemiebedingt nicht stattgefunden haben? Rückwirkend wird das nicht gelingen; es geht also nur in der Zukunft.

(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der SPD und der FDP – Christian Haase [CDU/CSU]: Lesen Sie die Wirtschaftszeitung?)

Und weil Sie von der Union auf das Bundesverfassungsgericht schielen: Das Bundesverfassungsgericht hat im letzten Jahr in einer, wie ich finde, Eindeutigkeit und Klarheit wie selten gesagt: Klimaschutz bedingt die Freiheitsrechte der kommenden Generationen. – Das heißt umgekehrt: Kein Klimaschutz ist das Gegenteil von Nachhaltigkeit. Jetzt in Klimaschutz zu investieren, jetzt in die Neuaufstellung unserer Wirtschaft, unserer Energieversorgung, unserer Mobilität zu investieren, das ist eben nicht nur ökologisch klug, das ist auch ökonomisch die bessere Wahl, als im Nachhinein die Schäden zu reparieren, die entstehen, wenn diese Investitionen unterlassen werden.

(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der SPD und der FDP)

Also, wie wollen wir in fünf, in zehn, in zwanzig Jahren auf diese Entscheidung zurückblicken?

Manche wollen dann vielleicht in einer Welt leben, in der sich die ökologischen und ökonomischen Krisen derart zugespitzt haben, dass wir auf Stahlwerke als Industriedenkmäler schauen und sagen: Mensch, immerhin haben wir 2021 die Kredite nicht genutzt. – Wollen Sie das wirklich?

(Zuruf des Abg. Kay Gottschalk [AfD])

Wir wollen mit Stolz darauf zurückblicken, dass wir die richtigen Konsequenzen aus dieser Pandemie gezogen haben, dass wir die wirtschaftlichen Folgen gelindert haben und dass wir nach Jahren des Stillstands ein Jahrzehnt der Zukunftsinvestitionen gestartet haben. Ich will darauf zurückblicken, dass wir dem gerecht geworden sind, was das Pariser Klimaabkommen, was das Bundesverfassungsgericht, ja, was die Wirklichkeit von uns einfordert: dass wir unserer Verantwortung gerecht werden und dieses Land auf den 1,5‑Grad-Pfad führen. Ich bitte Sie herzlich um Zustimmung zu diesem Nachtragshaushalt.

Vielen Dank.

(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN, bei der SPD und der FDP)

Vizepräsidentin Katrin Göring-Eckardt:

Sebastian Brehm hat das Wort für die CDU/CSU-Fraktion.

(Beifall bei der CDU/CSU)

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